Im Zweifelsfalle für das Mehrdeutige
Martin Kunz ‹Honig und Quarz, Lyrik und philosophische Zuspitzungen›
Mit ‹Honig und Quarz› legt Martin Kunz einen Gedichtband vor, der allein schon durch den Titel aufhorchen lässt. Honig und Quarz, zwei Stoffe, deren Beschaffenheit und Konsistenz unterschiedlicher nicht sein könnten. Auch ihre Verwendungszwecke, der eine als Lebensmittel, der andere als Rohstoff für industrielle Zwecke, sind völlig verschieden. Setzt man aber die zwei Wörter zusammen, liegt die Vermutung nahe, dass hier der beliebte Schmuckstein namens ‹Honigquarz› Pate stand. Ja, vielleicht den Anstoss zum titelgebenden Gedicht gab, wenn es heisst: Gespenster der Vernunft / Im Walnusskern unsres Gehirns / die Auflösung des Scheins / Honig und Quarz sind eins // bis der Tod sie wieder scheidet.
Durch den Tod, im übertragenen Sinn, nehmen die zwei Stoffe geradezu menschliche Züge an: Mit anderen Worten, der auflösende Schein schafft insofern Klarheit, dass trotz verschiedener Identitäten eine lebenslange Verbundenheit möglich ist, ja sogar gelebt wird. Nein, dieser Schein trügt nicht, er dringt durch und bringt Licht in die Anfänge.
Mehrheitlich haben die Gedichte das menschliche Dasein zum Inhalt, in denen ein lyrisches Ich über das Leben in all seinen Facetten reflektiert. Verschiedentlich äussert es sich auch als gespiegeltes ‹Ich›, was besonders schön am Beispiel der ersten Strophe im Gedicht, ‹Mit Trakl›, zu zeigen ist, in dem es von der ersten Person in die dritte wechselt: Und manchmal / Möchte er hinübersehen / Nachts / Wenn mondgequälte Schrift / Aufschreit an schwarzer Wand.
Interessant ist hier, in Anlehnung an die Romantik, wie das ‹Ich› eingebunden in einen nächtlichen Assoziationsraum als Instanz des Sprechers fungiert.
Feinsinnige Beobachtungen, unerwartete Metaphern, Erinnerungen sowie subtile Vers- und Satzkombinationen erwarten uns in diesem Gedichtband, kurz gesagt, ein poetisches Vergnügen. Dabei werden Themen wie Liebe, Erotik, Kunst und Selbstverwirklichung, aber auch Krisen aufgegriffen. Stets dem Wahrheitsgehalt auf der Spur, wird so manches hinterfragt und auf den Kopf gestellt, manchmal parodistisch, manchmal spitzfindig, wie es das Gedicht ‹Uns selbst zu überschreiten› nahelegt: Noch ist die Welt nicht was sie ist / Die Teilchen des Gefüges schwanzen unbewusst / Der Mensch in aller Regel ist erst Vormensch.
Nicht umsonst lautet der Untertitel des Gedichtbandes: ‹Lyrik und philosophische Zuspitzungen› der offensichtlich einen Diskurs ankündigt. Nun kann man sich fragen, was hat denn Dichtung mit Philosophie am Hut und gehen die zwei Genres überhaupt zusammen? Müssen sie es denn? Nein, denn der Autor beabsichtigt nicht etwa, die zwei Genres miteinander zu vermischen oder willkürlich ineinanderfliessen zu lassen, sondern er stellt sie geschickt einander gegenüber, so dass sich dialogische Räume entfalten. Gerade unter dieser Beibehaltung korrespondieren die Gedichte und die pointierten, teils aphoristischen Einzeiler aufs Schönste.
Auch von Lebenskrisen ist die Rede, von einem Mann, der auf der Suche nach sich selbst ist und durch selbstzerstörerische Absichten hofft, Aufmerksamkeit zu erhalten. Sehr einfühlsam, wie die Gedichte zum jeweiligen Thema angelegt sind, und mit einer spannungsgeladenen Unberechenbarkeit aufwarten. Dazwischen blitzen immer wieder lyrische Momente auf, die eine gewisse Skepsis durchschimmern lassen. In diesem Zusammenhang darf auch die Religion, beziehungsweise die Glaubensfrage nicht fehlen, von der das Gedicht ‹Gott ist ein Verb› handelt: Gott ist ein Verb / nullwertig / vielleicht ein Hilfsverb nur / Wir suchen seine Spuren in Sätzen / und in Taten / und wir müssen raten.
Oft begegnen wir paraphrasierenden Zeugnissen dieser Art. Sparsam gesetzte Ironie und Schlitzohrigkeit geben dem lyrischen Sprechen einen bestimmten Duktus, der den denkerischen Prozess in Gang setzt. Selbst der Umgangssprache wird in diesem Buch kritisch zu Leibe gerückt, wenn sich das ‹Urwort› in Schweigen hüllt, weil es ihm die Sprache verschlagen hat, ob all den Kopien, Plagiaten und Vervielfältigungen. Damit ist freilich auch die Liebe gemeint, ein ‹Überwort›, wenn auch im Alltag inflationär gebraucht, aber trotzdem mehr ist, als nur sein Duft. Ist das Wort tatsächlich schon derart verbraucht? Oder ist es gar müssig, überhaupt darüber nachzudenken? Nicht wenn man es in einer aufgefächerten Deutung liest und den literarisch-philosophischen Kontext entgrenzt oder gar aufbricht.
Es ist das kritische Reflektieren mittels Dichtung, das diesen Lyrikband auszeichnet, wenn zum Beispiel aus der Sprache plötzlich eine Zwiesprache spricht, die auf ein ‹Zwie-Ich›, im gleichnamigen Gedicht, zurückzuführen ist. Dem Schicksal völlig ausgeliefert, muss es notgedrungen mit seinem dunklen Double zusammenspannen. Nun sind das natürlich begriffliche Abgrenzungen, denen der Autor ein Schnippchen schlägt und sie zugespitzt infrage stellt: Sind nicht schon Begriffe Übergriffe.
So gesehen kann nur ein hinreichend flexibler Lyrikbegriff, den vielfältigen Formen und variablen Erscheinungen gerecht werden, der Neues, Anregendes und Inspirierendes hervorbringt. Ob und wie sich das zeigt, hängt selbstverständlich von der Betrachtung ab. Nun ist es der Leserschaft zu wünschen, sich der Lektüre anzunehmen, um nicht zuletzt herauszufinden, wie Lyrik und Philosophie, als Staunen über das Denken und Dichten auf der Höhe der Zeit, in Beziehung stehen. PRO LYRICA Cornel Köppel
Martin Kunz ‹Honig und Quarz, Lyrik und philosophische Zuspitzungen›
Collection Entrada Edition Klaus Isele
ISBN 978-3-7431-7533-4