Meret Gut ‹Die Frau mit dem violetten Herzen› – Gedichte


Die Zeit läuft mit schweren Schuhen
PRO LYRICA Cornel Köppel, 10.10.2020 

Der neue Gedichtband von Meret Gut ‹Die Frau mit dem violetten Herzen› versammelt vierundfünfzig Gedichte unterteilt in vier Kapitel. Übergeordnet legt die Autorin den Schwerpunkt auf die Natur und beschreibt den Lebensraum von Menschen und Tieren. Das erste Gedicht mit dem Titel ‹Mutter› eröffnet den Reigen. Diese Mutter hat ausgelaugte Augen, schaut uns bange an und scheint zu lange schon schlaflos zu sein, ja sogar Löcher hat man ihr in die Haut gesprengt. Darin finden sich Verse wie ‹Es brennen Feuer in den Wäldern um deine Hüften.› oder ‹Du weinst, deine Wasser steigen verzweifelt, / deine Gletscher verlieren ihre Zungen.› Das Gedicht ist eine Anspielung auf den Topos ‹Mutter Erde› oder ‹Mutter Natur›, mit Verweis auf den gegenwärtigen Klimawandel, aber auch auf die Nutzbarmachung unseres Planeten.

Das Feminine in Anlehnung an den erwähnten Topos taucht in verschiedenen Kontexten auf und zieht sich durch den ganzen Gedichtband. Es bildet sozusagen das Gerüst, das die Gedichte zusammenhält. Und wo Weiblichkeit ist, ist auch das Attribut der Fruchtbarkeit nicht weit, die im letzten Kapitel ‹Fruchtbare Erde› facettenreich reflektiert wird, indem die Autorin uns die Tier- und Pflanzenwelt sowie die geologischen Beschaffenheiten mittels poetischen Sprachbildern vor Augen führt.

Wie schon dem Klappentext zu entnehmen ist, spielt das wiederkehrende Motiv der Liebe eine nicht unwesentliche Rolle, das oft – vielleicht zu oft – mit der Metapher ‹Herz› in Verbindung gebracht wird. Die Autorin setzt dieses Sinnbild bewusst und hinterfragend ein. Denn bereits im Titel des Gedichtbandes ist von einem ‹violetten Herzen› die Rede. Und im Gedicht ‹Fieber›, das dem Kapitel ‹Trommeln der Angst› zugeordnet ist, heisst es, ‹mein Herz hängt kopfüber.› oder im Gedicht ‹Das Herz waschen› in der ersten Strophe, ‹Beim Bergsee nehmen wir unser Herz heraus, / waschen es mit eiskaltem Wasser / bis es in seinem Beutel beinahe gefriert.› Mit diesen Entfremdungseffekten grenzen sich die Gedichte vom Bereich des Kitschigen ab. Die häufige Verwendung der Metapher scheint jedoch etwas übertrieben.

Des Weiteren scheint die Autorin ein Faible für die Bergwelt zu haben, widmet sie doch derselben mit ‹Zauberin am Berg› eigens ein Kapitel, in dem Menschen und Tiere Schnittstellen sind, an denen sich das Kreatürliche metaphorisch verschränkt. Besonders deutlich zeigt sich dies im Gedicht ‹Gebirge, was birgst du?›, wo es heisst: ‹Das Gebirge oberhalb unserer Altalp / ist eine gebückte alte Frau. / Im Herbst flammt ihr Rock rot auf, zwischen / ihren tannenen Beinen röhren die Hirsche.› Und das ist nicht die einzige Wahrnehmung, die sinnlich reflektiert wird. So ist im Gedicht ‹Deine Herde› die Rede von Schafen, die sich in einer Berglandschaft verirren, deren Hügel Brüste sind.

Als Kontrapunkt zur Bergwelt beschreibt die Autorin das städtische Leben und den Alltag der Menschen. In Versen wie ‹Die Zeit läuft mit schweren Schuhen› zeigt sich: Mutter Erde und auch ihre Bewohner haben es nicht immer einfach. Da läuft eine alte Frau blind durch die Strassenschluchten, ‹rastlos, / wie die Erde um die Sonne.› und zieht ihr Herz an einer langen grauen Schnur hinter sich her. Später am Abend schabt sie die Versteinerungen vom Tag ab und macht sich weich für die Nacht.

Nicht selten stossen wir auf Stellen, an denen die neutrale Erzählperspektive mit aussergewöhnlichen Sprachbildern angereichert wird. Dies macht aus Menschen, Tieren und Umwelt abstrakte Grössen, und dies ohne komplizierte Textkonstruktionen. Insgesamt lässt sich sagen, dass die Autorin hier die Umwelt meistens aus einem sehr sinnlich motivierten Blickwinkel betrachtet. Trotz vielen variierenden Phantasmagorien zeigt sich an ihrem oftmals prosaischen Schreibstil, dass sie den Bezug zur Wirklichkeit nicht aus den Augen verliert. Ein Grund mehr diesen Lyrikband der Leserschaft wärmstens zu empfehlen.

Meret Gut ‹Die Frau mit dem violetten Herzen›, Gedichte, 
Die Reihe Band 71, Wolfbach, 2020, 80 Seiten, englische Broschur 
ISBN: 9783906929422