Kuno Roth ‹IM ROSTEN VIEL NEUES› – Gedichte für den Alltag. 
Reihe Poesie 21. Hrsg. Anton G. Leitner. 95 S., Verlag Steinmeier, Deiningen, 2017.


Rezension von Marianne Mathys Ennetbürgen

Das Bild auf dem Buchumschlag sagt einiges voraus. Das Foto mit Titel ‹Wandbrosche›, zeigt zwei rostfarbene Quadrate, schräg übereinander angeordnet, vor schwarzem Grund, die sich an einer Ecke leicht überlappen. Die aus zwei alten Remy-Martin-Blechdosen hergestellte Skulptur, stammt vom Künstler Lukas Ulmi. Ihre Oberflächenmusterung erinnert an gegerbte Haut; Lederhaut. Zwischen mäandernden Schrunden, dehnen sich die grösseren und kleinere (Haut-)Flächen, deren Rostfarbe changiert von klar Kupferorange über dunkel gesprenkelt, bis hin zu moosig-erdiger Patina. Assoziativ denke ich: Aus alt mach neu. Vergänglichkeit und Wiedererwachen. Unter die Haut gehen. Platz machen für neues. Effektiv geht es in diesem Gedichtband um Frühling nach dem Winter, um den unaufhaltsamen Fortlauf der Zeit, um Liebe und Verlust, und um sich Aufrappeln nach dem Fall.

Neugierig lese ich mich durch die vier Kapitel des Buches, und begegne dabei einem präzisen Denker und verspielten Wortkünstler, der seine Beobachtungen und Erfahrungen seines schon beachtlichen Lebens auf den Punkt bringt. IM ROSTEN VIEL NEUES ist Kuno Roths vierter Gedichtband. Noch ist der 1957 geborene Autor nicht im Ruhestand, noch arbeitet er als Mentoring-Verantwortlicher und Ausbildner bei Greenpeace, doch nebenbei steht er mit seinen Gedichten auf dem Podest, und trägt seine oftmals bestechend lakonischen, wie auch humorvoll pointierten Kurzgedichte und Aphorismen vor. Ein stilsicherer Formulierer, denkt er schreibend über Natur und Technik nach, über Politik und Wirtschaft. Und er berührt mit seinen poetischen Gedichten über Liebe, Vergänglichkeit und Verlust. Kuno Roth schreibt aus einer gesellschaftskritischen Haltung heraus, bei allem Sinn für Menschlichkeit. Seine Texte folgen einer ihm eigenen, unverwechselbaren Logik die mich immer wieder überrascht.

Im Kapitel, Die Natur wäre bereit, schreibt er: Das Leben schwingt / wie ein Blütenzweig / im Wind / auf und nieder. // Die Blüte braucht / den Zweig / das Auf / das Nieder. Und zum Frühling meint er: Treibst Knospen, / grünst Bäume, / wärmst Luft. / Hebst Vögel / und Gemüt / in den Himmel. // Fleissiger Frühling, / bitte weiter so. Bereit nicht nur zum erblühen, ist Natur auch zum welken und vergehen bereit, etwa in , Unruhe, wo der Autor schreibt: Die Unabwendbarkeit / des Todes /. späht / wie ein Reh / aus dem Wald.

Zu Denken gab mir die Überschrift Ana log digital, deren Schreibweise mich zur belustigenden Annahme, An(n)a, log digital! verführte. Aber so konnte es ja wohl nicht gemeint sein. Ernsthaft suchte ich nach dem wahren Sinn dahinter. Ein Blick von meiner Armbanduhr, mit analogem Zifferblatt, zur digitalen Zeitanzeige an meinem Backofen, liess mich an funktionsgleiche Strukturen zur Zeitmessung denken, welche aber in der Art und Weise ihrer Darstellung nichts miteinander gemeinsam haben. Etwas kontinuierlich sich Entwickelndes also, aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet. So ähnlich im Gedicht: Die Zukunft, / eine vor der Windschutzscheibe / sich ausrollende Autobahn./. Im Rückspiegel / ein Feldweg. – Aber nicht jedes Gedicht in diesem Buch ist eine Knacknuss. Ein paar Seiten weiter dann, ganz meiner ob genannten Annahme entsprechend (und ich fühlte mich rehabilitiert): Alles log, o! / Neulich / im Blog: / Ana log digital. / Auch Mono log, / er betrog sich selber. / Kata log dagegen / wie gedruckt. / Nur das Dia log / vorbildlich. Ein Gedicht zum herzlich darüber lachen.

Ganz anders berührend, die Gedichte in: Unterwegs zwischen Umarmungen. Trotz der vorherrschenden Tragik wo es um Liebe und Verlust geht, liegt den meisten eine tröstlich verspielte Heiterkeit inne, eine abgeklärte Gelassenheit sozusagen, mit der JA gesagt wird zum Unausweichlichen und wo die Schönheit der gelebten Beziehung, immer wieder aufblitzt.

Dich /. mit einem Grashalm kitzeln, / aus deinem Glas / einen Schluck stibitzen, Pralinen für dich / verstecken. //Wenn nur / diese Lust mit dir / zu schabernacken, / erst mit mir / stürbe !

Stern../. Der Mond bricht durch./. die Wolken,./. Sterne fallen ins Zimmer. / Einer von dir. /. Sacht / hauche ich ihn / aus der flachen Hand / zurück / ins All.

Und schliesslich mit: In den Reben ist noch Leben, geht es weiter, nach dem Verlust, dem Fall, dem Irrtum, was immer. Ein sich Aufrappeln kann beginnen und sich öffnen, für (viel) Neues, das noch auf einen wartet, etwa in: Fallwind. / Unerwartet / einer Erwartung / nicht entsprechen. / Wer sagt hier, / wer hier versagt ? // Falschem Wind / Macht aus den Segeln nehmen. / Frischen Winds / Auftrieb spüren. / Spuren suchen. / Versuchen.

Ein Reigen durch das Leben wie es ist, im normalen wie im speziellen Alltag. Aber das Leben ist gar nicht alltäglich, es erfindet sich immer wieder neu; im Glück, in der Trauer, auf der Suche nach Sinn, davon handeln diese Texte in dem überaus lesenswerten Gedichtband.
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M.M., 20.6.2017, PRO LYRICA


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