Rhetorik
Lassen Sie uns auch die Schattenseite jeglicher Rede- und Schreibkunst nicht vergessen! Das Wort hat eine lautliche und sinnliche Macht, kann aber ebenso zweckgebunden und zielgerichtet eingesetzt werden. Schon Protagoras behauptete nach Seneca, man könne über jede Sache mit gleichem Rechte nach beiden Seiten disputieren; sogar darüber, ob sich über jede Sache nach beiden Seiten disputieren lasse.
Die Rhetorik ist auf Wirkung ausgerichtet, sie will beeinflussen und lenken. Sie greift dabei zu den sogenannten rhetorischen Figuren, literarischen Massenvernichtungswaffen, die eine sprachliche Aussage schmücken und verstärken, ihr ganz allgemein Dringlichkeit und zusätzliche Überzeugungskraft verschaffen in den Augen des Lesers oder den Ohren des Hörers. (Auch die Tropen sind Stilmittel der Rhetorik und von nicht geringerer Durchschlagskraft.) Die Geschichte, insbesondere die deutsche Geschichte, hat in neuerer Zeit zu einer allgemeinen Abneigung gegen rhetorische Brillanz geführt. Politiker jeglicher Couleur drücken sich heute z.B. meist sehr umgangssprachlich, dialektal gefärbt und vermeintlich ‹volksnah› aus, und Lyriker meiden meist den hohen Stil, die grossen rhetorischen Gesten zugunsten einer Sprache der Bescheidenheit und Demut, aber auch das ist letztlich nur eine Abart oder Spielart rhetorischer Hybris. OF