Poetik

Die Lehre von der Dichtung schwankt seit ihren Anfängen bei Aristoteles zwischen Vernunft und Gefühl, zwischen Überschwang und Beherrschung. Steht zur Debatte, welche Mittel die Lyrik nutzt, tendiert die Poetik zur Rhetorik hin. Diese Debatte kann jedoch nicht abschliessend geführt werden, wenn nicht auch über die Wirkung der Lyrik gesprochen wird, womit wir das Gebiet der Ästhetik betreten.

Wenn auch die Schlachten um Sinn und Tragweite der Lyrik nicht mehr so heftig wogen wie noch im 18. Jahrhundert, muss doch darauf hingewiesen werden, dass es sich hier um eine fundamentale Frage handelt, die sich jedem Dichter stellt. Gleichzeitig öffnen sich hier Traditionslinien, deren sich der Dichter – so frei er heutzutage auch sein mag – bewusst werden und deren Wirkmacht er nicht verleugnen sollte. Sich in einer Tradition zu bewegen heisst, den Rückenwind der Geschichte ausnutzen.

Mit Blick auf die Literatur- und Lyrikgeschichte lässt sich vereinfachend ein poetologischer Dualismus festhalten: Während die einen sich in einer ausdrucks- und gefühlsbetonten, ‹empfindsamen› Poetik zuhause fühlen (Traditionslinie des Manierismus, des Barock, der Empfindsamkeit, des Sturm und Drang oder aber des Expressionismus), orientieren sich die andern eher an einer klassischen oder klassizistischen Dichtung. Letztere Strömung betont die Mittel der Dichtung, allgemein das Normative, Rhetorische, aber auch die Einfachheit des Ausdrucks weit stärker als erstere. Literaturgeschichtlich könnte man von einer anglo-saxonischen (Gefühl, Ausdruck) und einer romanischen (Regeln, Schlichtheit) Tendenz sprechen.

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