2

Augen
Licht
durch Nebel
bricht
meine Sinne
enthüllt
mein Denken
erfüllt
und ungetrübt
meine Worte
spricht

Susanna Gneist
aus dem Lyrikkalender 2017/12

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1

Nichts
bleibt unberührt
vom Tag und Nacht
Geschehen

zwischen den Zeiten

Alles
hallt sachte wider
webt und spurt
für das Kommende

Susanna Gneist
aus dem Lyrikkalender 2017/12

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2

In einer kalten Welt

In einer kalten Welt
einen heissen Draht
zur Schulter haben.
Dann die Augen rollen
und Fremde betrachten
als wären sie Gott.

Jolanda Brigger-Ruppen
aus dem Lyrikkalender 2017/11

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1

Wenn es nur einmal

Wenn es nur einmal
so ganz still wäre,
so richtig still
für den ganz grossen
Hörgenuss.

Jolanda Brigger-Ruppen
aus dem Lyrikkalender 2017/11

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2

Schüsse

Gerade
als die Bäume
ihre goldenen Kronen aufsetzten
kamen die Jäger
und erschossen den Morgen
Er fiel
neben dem Rehbock
ins nachtgraue Gras

Hannelore Dietrich
aus dem Lyrikkalender 2017/10

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1

Im Grün

Pfeifende Schwingen
über uns

dunkel der Himmel
Heerscharen von Krähen
die sich versammeln
und landen

Den Schnabel gegen
die Sonne erhoben
schlagen ihre Flügel
die Erde

Wir ducken uns ins Grün

Hannelore Dietrich
aus dem Lyrikkalender 2017/10

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2

Sie kommen

was sie mir nehmen wollen
den zarten Moosgeruch
deiner Haut
zu wärmen
meine kalten Wirbel
an dir

Sie kommen
dröhnend drohen Schritte
in Zelten aus Angst
die Panzerherzen
lieben
wer jetzt dazugehört

Percy Usleber
aus dem Lyrikkalender 2017/9

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1

Schweigender Mumienersatz

Wir waren Liebende
um uns die Pyramide
wuchs
wieder ein Weltwunder mehr
zeitabwärts
und Strassentunnel später
die Gruft unserer Zärtlichkeiten
wie Pharaos Schätze
um abzuwenden
auch hier Tod vom Leben
dein Blick
das geschlossene Grab
dringt durch
kein Strahl

Percy Usleber
aus dem Lyrikkalender 2017/9

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2

Schwalben brauchen keine Namen

Kringel im leeren Raum
aus Rauch
schwebende Töne
ziehender Atem
verbranntes Glas

Wanderwolken füllen verstrahlte Erscheinung
Flügel schwingen warme Luft empor
dort hör ich

Farne faulen
Masken fallen

Spinnweben
gefüllt mit
Tautropfen

Sarah Egli
aus dem Lyrikkalender 2017/8

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1

Agua caliente

Geschlafen im Dreck am Boden im Sand
verliere die Sicht in Graden der Wärme
seh ich diese Hoffnung trotz sperriger Wand
die Hand nah gestreckt in Tiefen der Ferne

Einmal die Woche ergoss sich für mich
das strahlende Wasser so klar wie für dich
mit geschlossenen Augen den Kopf leicht geneigt
erfuhr ich die Schönheit
wie sie sich gerne zeigt

Im Himmel deiner Welt
erhält
jeder
all dies in jedem Moment

Sarah Egli
aus dem Lyrikkalender 2017/8

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2

Juli am Atlantik

Eine Frau mit weissem Haar
rauscht aus dem Horizont heraus –

ist es der Nebel vom Atlantik
oder die weite lange geraffte Seide
die sie in Grautönen umgibt? –

Der Nebel oder die Frau
laufen über das hellgrüne Land

dem entsetzten
kornblumenblauen
Himmel entgegen

der mit ein paar Wolken entweicht.

Jacqueline Wolff
aus dem Lyrikkalender 2017/7

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1

L’espoir et le vent

Mes chagrins s’en sont allés au loin
sur les montagnes d’Anatolie
Sauvages aux hauts plateaux enneigés qui surplombent la Turquie.

Le navire devenu Chronos
Fend la mer à toute allure jour et nuit.
Vers quel destin?

Dans mes bras, mes enfants
que je garderai contre mon cœur.

Jacqueline Wolff
aus dem Lyrikkalender 2017/7

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2

An
einer
langen
Leine
ein
Haken
mit
Wurm
und
weder
Fisch
noch
Vogel
beisst
an

Ruth Werfel
aus dem Lyrikkalender 2017/6

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1

DER FINGER

In seiner Einsamkeit
hoch oben
über dem Stuhl
am langen Stab
auf der Leiter
wie der Akrobat
im Zirkus
der dort Geige spielt
oder Teller balanciert.
Aber anders als dieser
beschaut er
von hoch oben
das Treiben
weit unten
und hebt drohend
einen Finger

Ruth Werfel
aus dem Lyrikkalender 2017/6

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2

Mütterliche Gesten

Wie sie ihre Wange an die seine schmiegt,
ihn streichelt, umarmt,
ihn auf die Stirne küsst –
Wie sie ihn auf den Boden stellt,
sein unbeholfenes Davontappen
schmunzelnd mitverfolgt,
Arme ausgestreckt,
offen für ein Ziehenlassen,
stets offen für ein Zurück.

Edgar Hermann
aus dem Lyrikkalender 2017/5

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1

Maien

Bald kommt der holde,
wonnevolle Maien wieder,

das Leben fängt nochmals von vorne an,
die Vögel trillern ihre Frühlingslieder –

wohl dem,
der sich dem Jubel zugesellen kann!

Edgar Hermann
aus dem Lyrikkalender 2017/5

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2

Wäre ich ein Wind

Wäre ich ein Wind,
möchte ich ein Durchzug sein,

der Türen zuschlägt
und Fenster öffnet.

Richard Knecht
aus dem Lyrikkalender 2017/4

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1

So könnte es gehen

Dem Unausweichlichen
im Wege stehen.

Dem Kopflosen
die Stirn bieten.

Das Unangemeldete
erwarten.

Richard Knecht
aus dem Lyrikkalender 2017/4

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2

es wird hier
oder dort
licht

noch eine weile
frost
klart auf

Gertraud Wiggli
aus dem Lyrikkalender 2017/3

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1

aus den wolken gefallen
erschrockene farben
bunte flocken am boden
primeln schnee und osterglocken
veilchen hyazinthen wenig grün
unglauben über nacht
ein ausschlag plötzlich
blüht der tod

Gertraud Wiggli
aus dem Lyrikkalender 2017/3

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2

Gehörtwerden

Still sein
heisst nicht,
nichts
zu sagen haben.

Schweigen
heisst nicht
stumm sein.

Reden
heisst nicht,
etwas
zu sagen haben.

Abwenden
heisst nicht,
taub sein.

Edith Saner
aus dem Lyrikkalender 2017/2

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1

Nichtwissen

Anders
anders als gestern
als vorgestern
als vorvorgestern

Anders
anders als vor Stunden
vor Minuten
vor Sekunden

Und jetzt?

Edith Saner
aus dem Lyrikkalender 2017/2

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2

Uns Sterblichen tut Not Geduld

Johannes Brahms legt uns ans Herz Geduld
im Deutschen Requiem. An Langmut, Huld
ist reich der Herr, gebietet, dass wir warten
auf seine Zukunft. Ferne sei Entarten!

Reinhard Genner
aus dem Lyrikkalender 2017/1

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1

Unser Herz gibt Rätsel auf

Verzagt und trotzig ist des Menschen Herz;
sein Ziel liegt hier, jedoch bald anderwärts.
Facettenreiches Ding, wer mags ergründen?
Für Unvernünftiges sich kanns entzünden.

Reinhard Genner
aus dem Lyrikkalender 2017/1

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#

Passe
die Masse
deines Balastes
der Beschaffenheit
deiner Flügel an 

Susanna Gneist
aus dem Lyrikkalender 2017/Titelblatt

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Alle vorhergehenden Gedichte sind dem PRO LYRICA Lyrikkalender 2017 entnommen.
© 2017 by den Autoren