2

STILLE

Ein leichter Regen
mitten in der Nacht
wenn alles schläft
nur du noch wachst

Wenn es und Welt
zufrieden sich
die Waage hält

Nach dem Anschwellen
und Verklingen

Nachts nach einem
regen Tag auf der Strasse
in der Wohnung
im Kopf im Herzen
im Bauch

In Raum und Zeit
schwillt Stimme an
klingt ab und schweigt.

Marianne Mathys
aus dem Lyrikkalender 2015/12

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1

WIRRUNGEN

Da dort – darüber hinaus
Verläufe sich verlaufen
im Hochwald der Stämme
Zwischenräume und
manchmal ein Baum
stockend nah.

Geh nicht zu weit
geh nicht zu nah
die Zeit
könnte dir stillstehen
aufs Mal.

Marianne Mathys
aus dem Lyrikkalender 2015/12

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2

#

Das Mass
von Biegen
statt Brechen
heisst
Ausdauer

Susanna Gneist
aus dem Lyrikkalender 2015/11

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1

#

Reif ist
wenn in später Sonne
ohne Hast
die Last
die Fülle
im besten Falle
nicht weit vom Stamm
ins Rollen kommt
und fruchtbar
das Weite suche

Susanna Gneist
aus dem Lyrikkalender 2015/11

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2

ES RAUSCHET DER BACH

Es rauschet der Bach,
es glitzern die Sterne.
Die Eule wird wach
und in der Ferne
quietscht eine Maus.
Die Geschichte ist aus.

Niklaus Zemp
aus dem Lyrikkalender 2015/10

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1

DER STURM

Was hat der Sturm mit dir gemacht?

Er hat mir die halbe Krone weggerissen,
sagt der Apfelbaum.

Er hat mich brutal umgelegt,
sagt die Tanne.

Ich habe mit ihm gekämpft,
sagt die Eiche.

Mit mir hat er gespielt,
sagt das Schilfrohr.

Niklaus Zemp
aus dem Lyrikkalender 2015/10

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2

ZUNEIGUNG

Wenn der Himmel sein Samtband abends schnürt
und das Denken an Dich ist
wie die Ringe auf dem Wasser
hinunter ins Becken des Brunnens.

Jacqueline Wolff
aus dem Lyrikkalender 2015/9

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1

FLUT

Rasant zuerst –
dann leckend zischend
den Strand immer tiefer hinein
– die Wellen überstürzen sich –
das Meer nimmt Besitz
von seinen früheren Territorien
bis es ruhig ohne mit der Welle zu zucken
plötzlich spiegelglatt
– als könnte es kein Wässerchen trüben –
da angelangt ist, wo es vor Stunden
den Strand säumte.

Jacqueline Wolff
aus dem Lyrikkalender 2015/9

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2

UNIVERSUM

Was für ein Morgen
in der leergetrunkenen Kaffeetasse
findet das Universum Platz

Der Regen hat den Staub
von gestern weg gewaschen
lass uns neu beginnen

Kosmischer Kreis
dreht sich ihr Haus
trägt die Schnecke selbst 

Duft der Rose in roten
Samt gehüllt gehen Erinnerungen
durch geschlossene Lider 

Matthias Müller Kuhn
aus dem Lyrikkalender 2015/8

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1

ATEM

An einem Atemfaden
hängt die Welt
wer hält ihn fest
Leere zwischen Ein 
und Ausatmen ein Berggipfel
spiegelt sich im See
Durch ein Wort atmen
Buchstabenwipfel wiegen sich
leise im Wind
Schreibe ich einmal mit einer
Engelflügelsfeder ein
schwebendes Wort

Matthias Müller Kuhn
aus dem Lyrikkalender 2015/8

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2

 

Einsam
wacht
wer
sucht

Einsam
schreitet
wer
findet

Einsam
spricht
wer
weiss

Susanna Gneist
aus dem Lyrikkalender 2015/7

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1

 

Vorstufen
nicht
Umwege

Susanna Gneist
aus dem Lyrikkalender 2015/7

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2

 

Im Sommer
meine Seele in der Hängematte
ins Sorglose schaukelnd
blaumachen unter dem Blau
im Duft von Oregano

Andrea Bergundthal
aus dem Lyrikkalender 2015/6

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1

 

Herabgefallen der Wolkentraum
im Erdenreich Wurzeln geschlagen
Ranke in meinem Garten
und mein Glaube klettert an dir
himmelwärts

Andrea Bergundthal
aus dem Lyrikkalender 2015/6

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2

ANSTRENGUNG NÖETIG

BEIM FRÜHJAHRSPUTZ geh zielbewusst, entschlossen
als Hausfrau vor, erlaub dir keine Possen!


DES KRIEGERS Schüsse drangen in den Stein.
Vermutung: Feind muss dort verborgen sein.


METALLGERÄT sich eignet, Obst zu schaben.
Wer Müh nicht scheut, am Brei sich darf erlaben.


S T R A F F E L S A
T R A F F E L S
R A F F E L

 

Reinhard Genner
aus dem Lyrikkalender 2015/5

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1

UNVOLLSTÄNDIGES PFINGSTPORTRÄIT

Geist erscheint als
GABE des Jenseits eingabe überirdischer Inhalte

Geist wirkt sich aus als
HINGABE ohne Wenn und Aber

Geist überbindet
ABGABE von Zeit und Kraft
AFGABE der Erfüllung von Dringlichem

 

Reinhard Genner
aus dem Lyrikkalender 2015/5

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2

ABZEUVÄRS

d sunne brönnt u d zyt verrünnt
himmlisch hüüle d höllehünd
d sunne wird e rote riis
woisch em liebe gott sys biis
d sunne wird e wysse zwärg
schtyget schnäu i öji särg
d sunne wird es schwarzes loch
rybet öjer ohre troch
aus was uf der ärde wohnt
ggugget höchschtens no i mond
ou der wörtersack geit z’änd
wär git no ne miudi schpänd
minus plus u du bisch duss
und jitz isch ehr- und redlech schluss

 

Hans Jürg Zingg
aus dem Lyrikkalender 2015/4

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1

BASSGYGETANZ

e bütti vou bschütti
e bütti vou bluet
derzwüsche drei blutti
bassgyge mit huet

si ruuren u pfuure
bim heilige tanz
si pyschten u päärze
u lache sech e schranz

si schüttlen iri püppi
si schlänggen iri haar
da belüüchtet iri blütti
der moond wunderbaar

u si bade ir bschütti
u si bade im bluet
un im bassgygegade
da schmöckt es nid guet

 

Hans Jürg Zingg
aus dem Lyrikkalender 2015/4

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2

WASSER-SCHRIFT

Er habe dies alles
gesehen und auf Papier notiert:

Der Mann sei
auf einer Steinplatte gestanden
nahe des Ufers
habe sie mit einem Schwamm
damit ins Wasser tauchend
teilweise genetzt
dann mit einem Stab
in Wasserschrift
darauf geschrieben
Worte, die gleich wieder
in der Mittagswärme
verdunstet seien.

Auf die Frage die Antwort
er sei ein Geistschreiber.
Was geschrieben
sei geschrieben
auch wenn die Welt
untergehe. Das sei alles
nur eine Frage der Zeit
.

 

August Guido Holstein
aus dem Lyrikkalender 2015/3

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1

AUTOFRÜHLING

Der Dünger muss
gut sein
es wachsen so viele
am Wegrand, die Autos.

Die Schnauzen immer
nach vorne gerichtet
als hätten sie Benzindurst
und wie Hunde wartend, die Autos.

Auf ihren Chauffeur
der stets zu ihnen
zurückkommt, weil sie ihn
an der Leine halten, die Autos.

Blechblumen
mit Sonnenglitzereffekt
jedoch ohne Staubblätter.
Aber sie vermehren sich doch
die Autos.

 

August Guido Holstein 
aus dem Lyrikkalender 2015/3

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2

RAUREIF

Eisiger Baumschmuck
sonnenlose Leuchtkraft
verklärte Landschaft
knirschende Schönheit
an den Baum gehängte
Vergänglichkeit.

 

Margo Fuchs Knill
aus dem Lyrikkalender 2015/2

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1

Jeder aufsteigende Tag
bricht die Stille
der Nacht,
löst unsere Zungen
und füttert uns
mit nichts anderem
als einem Löffel
grünender Hoffnung.

 

Margo Fuchs Knill
aus dem Lyrikkalender 2015/2

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2

EINSAMKEIT

In unzähligen Wohnungen
ist es dasselbe.
Einsame Menschen.
Getrennt nur durch dünne Wände
und unerreichbar fern.
Mit Seelen wie Briefkästen
warten sie darauf,
dass etwas eingeworfen wird.

 

Richard Knecht
aus dem Lyrikkalender 2015/1

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1

AUFRÄUMEN

Mittwochs kommt die Müllabfuhr.
Was nicht mehr benötigt wird,
WIRD ENSORGT.
Doch jedesmal bleibt etwas liegen.
Ein Bündel Erinnerungen, 
die keiner mehr will
oder ein paar Geschichten
Die keine Ruhe lassen.

 

Richard Knecht
aus dem Lyrikkalender 2015/1

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#

GEFUNDEN

gefunden
zwischen den zeilen
nebelverhangen
ein wenig gold

 

Andreas Bruderer
aus dem Lyrikkalender 2015/Titelblatt

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Alle vorhergehenden Gedichte sind dem Pro Lyrica Lyrikkalender 2015 entnommen.
© 2015 by den Autoren